Interview mit Claus Peter Witt
Claus Peter Witt (*24.3.1932 in Berlin, + 8.5.2017 in Hamburg) musste mitten in den
Dreharbeiten als neuer Regisseur des NDR-Dreiteilers "Die Gentlemen bitten
zur Kasse" einspringen, nachdem John Olden am
16. September 1965 an einem Herzinfarkt gestorben war. Witt führte die Arbeit
erfolgreich weiter und erhielt gemeinsam mit dem posthum geehrten Olden
die Goldene Kamera. Es folgte eine lange und sehr
erfolgreiche Karriere als Regisseur. Zu seinen Werken zählen u.a. "Diese Drombuschs","Schloss Orth", "Hotel Paradies",
"Tod eines Schülers", "Die Unverbesserlichen", "PS - Geschichten ums Auto" und einzelne "Tatort"-Folgen.
Schließlich führte er zwölf Jahre lang die Regie im ARD-Dauerbrenner "Lindenstraße", bis er sich 2002 zur Ruhe setze.
Im Januar 2013 gab er mir freundlicherweise ein Telefoninterview.
Uwe Johann (Trainrobbery.de)
: Herr Witt, Sie sind als Regisseur eingesprungen, nachdem John Olden überraschend
verstorben war. Kannten Sie John Olden eigentlich persönlich? Und wussten Sie etwas über den Film, an dem er gerade arbeitete?
Claus Peter Witt
: Ja, ich kannte John Olden sehr gut, unsere Büros beim NDR lagen direkt nebeneinander und wir haben oft
Kontakt gehabt. Sein Tod kam wirklich völlig überraschend. Über die konkrete
Arbeit an den "Gentlemen" wusste ich zu diesem Zeitpunkt allerdings
so gut wie nichts.
UJ
:
Wie lief der Wechsel zu Ihnen ab? Wie viel Zeit hatten Sie, sich zu entscheiden und sich
einzuarbeiten?
Witt
:
36 Stunden – und von "entscheiden" kann man eigentlich nicht sprechen. Ich wurde in
das Büro von Egon Monk (Direktor für Fernsehspiele beim NDR) gerufen, der mir
eröffnete, ich solle die Arbeit sofort übernehmen. Das wurde also "per Ordre Mufti" bestimmt.
Ich konnte mir einen Tag lang das bisher gedrehte Material
anschauen, dann gingen die Dreharbeiten weiter!
UJ
:War das für
Sie nicht eine enorme Drucksituation? Wie haben die Schauspieler auf Sie
reagiert?
Witt
:Ich hatte große
Freude an dieser Arbeit und habe das nie als belastend empfunden. Am Set haben
wir uns alle prächtig verstanden. Das habe ich aber bei meinen Filmen immer so
gehalten; es ist keine gute Idee, sich mit Schauspielern anzulegen. Mit vielen
Beteiligten habe ich auch später sehr gerne zusammengearbeitet, etwa mit Horst
Tappert oder dem Sprecher Heinz Günter Martens. Es passte alles einfach gut
zusammen.
UJ
:
John Olden hatte ja bereits die Dreharbeiten auf englischem
Gebiet abgeschlossen...
Witt
:
Nicht ganz, wir
sind danach auch unter meiner Regie noch zwei Mal mit kleinerer Mannschaft zu
Dreharbeiten nach England gefahren. Wir waren in Brighton und Eastbourne, um einige der Fluchtszenen zu drehen, und auch
in London auf den Bahnhöfen. Manches davon war ja erst nach Oldens Tod überhaupt erst passiert bzw. bekannt geworden.
UJ
:
Stimmt es, dass Sie in England keine Drehgenehmigungen hatten?
Witt
:
Doch, wir hatten
für viele Szenen die Genehmigung, etwa dort, wo Polizei involviert war. Ein
Problem gab es nur auf den Bahnhöfen, dort sah uns die British Rail gar nicht gerne. Da mussten wir improvisieren.
UJ
:
Horst Tappert
berichtet, dass für den Aufenthalt unter Oldens Regie
in England auch extra eine englische Crew angeheuert werden musste, die aber
nicht viel zustande bekam. Hatten Sie dieses Problem auch?
Witt:
Nein, das mussten
wir dann zum Glück nicht mehr tun.
UJ:
Die deutschen Drehorte werden bis heute in der Fanszene diskutiert. So haben wir gehört, die
Dreharbeiten für die Eisenbahnszenen waren nicht nur in Moringen bei Northeim, sondern auch in der
Nähe von Uelzen oder Hamburg?
Witt
:
Der eigentliche Überfall
wurde komplett noch von John Olden bei Moringen gedreht. Dabei muss es übrigens zu einem ziemlich
schweren Unfall gekommen sein, als ein Kameraturm umgefahren wurde und der
(englische) Kameramann Gerald Gibbs sich ziemlich verletzt hat. Wir haben dann
noch einiges an Bahnszenen "drumherum" in der Nähe von Hamburg gedreht. Dort lag auch die
"Woodlands Farm", und zwar im Sachsenwald, ich meine, bei Aumühle.
UJ
:
Wie viel von den Gentlemen war in etwa schon fertig, als Sie an Bord kamen?
Witt
:
Rückblickend
würde ich sagen, es war ziemlich genau die Hälfte. Geschnitten war allerdings,
bis auf ganz wenige kleine Stückchen, die Monika Erfurth
bereits gemacht hatte, noch fast nichts.
UJ:A propos Schnitt: Wer hatte am Ende der dritten Folge die
geniale Idee, den Abspann noch einige Male wieder zurückzudrehen und
weiterzuerzählen?
Witt
:
Also, das mit dem
zurückgedrehten Abspann ist auf meinen Mist gewachsen. Es sollte zeigen, dass
die ganze Sache noch immer im Fluss war. Und so war es auch tatsächlich, es
sind ja auch nach dem Beginn der Arbeiten noch viele Dinge passiert, die
Drehbuchautor Henry Kolarz dann noch ergänzt hat.
UJ:Wie lange
dauerten die Dreharbeiten eigentlich?
Witt
:Damals galt die
Faustregel, dass pro Drehtag etwa eineinhalb Minuten des "fertigen
Films" geschafft werden sollten. Für einen 90-Minuten-Film hat man also
etwa 60 Drehtage gebraucht. In späteren Jahren hat sich das Pensum dann
übrigens auf 5, 7 und heute bis zu 15 Minuten gesteigert, die pro Drehtag
geschafft werden müssen. (Anm. d. Red: Die
"Gentlemen" dauern etwa 235 Minuten, also dürften die Arbeiten in
etwa 160 Tage gebraucht haben.)
UJ
: Die tolle
Filmmusik von Heinz Funk haben viele Fans noch immer im Ohr. Wie ist sie
entstanden? Was war zuerst da, der Film oder die Musik?
Witt
:Ich habe mir den
fertigen Film mit Heinz Funk zweimal angeschaut und ihm dabei geschildert, wo
ich Musik haben wollte und welche Stimmungen ich dabei jeweils transportieren
wollte. Dann hat Funk komponiert und arrangiert, und wir haben den fertigen
Film damit unterlegt. Das Ergebnis spricht für sich.
UJ
:Wer schrieb
den süffisanten Text für den wunderbaren Sprecher Heinz-Günter Martens?
Witt
:
Diese Texte hat
uns Henry Kolarz, der Drehbuchautor geliefert. Er war
übrigens nicht mit am Set, sondern hat lediglich das Drehbuch abgeliefert und
uns dann vielleicht ein- oder zwei mal besucht. Mit dem fertigen Film war er sehr zufrieden. Mit Heinz-Günter Martens
habe ich später noch einige Male zusammengearbeitet.
UJ
:Haben Sie noch
Erinnerungsstücke von den Dreharbeiten?
Witt
:Ich habe noch die
Goldene Kamera von damals, sowie einige Ausgaben der "Hör zu", die
darüber berichteten (die Goldene Kamera wird von der Hör zu vergeben, Anm. d.
Red.). Außerdem habe ich noch ein französisches Filmplakat, denn die Gentlemen
sind in Frankreich und noch anderen Ländern auch im Kino gelaufen!
UJ
:Das würde
bedeuten, dass der Film vielleicht doch noch in irgendwelchen Archiven als
Filmmaterial existiert, während wir davon ausgehen, dass die deutsche Version
in den 1980er Jahren vernichtet wurde und nur auf MAZ überlebt hat – in
schlechter Qualität.
Witt
:Das kann sein,
sofern nicht auch diese Kopien vernichtet wurden. Von schlechter Qualität ist
mir übrigens seinerzeit beim Schnitt absolut nichts aufgefallen, das kann auch
der "Zahn der Zeit" gewesen sein, bis das Ganze dann mal auf MAZ
überspielt wurde. Film altert...
UJ
:War das Filmmaterial 16-mm-Film? Und hat man schon an Farbe gedacht?
Witt
:Nein, wir haben
damals nur in Schwarzweiß gedreht, Farbe im TV schien noch weit entfernt, Das
Filmmaterial war übrigens 32-mm-Film. Die Zeit der 16-mm-Filme ging erst einige
Jahre später los.
UJ
:Mit Horst
Tappert haben Sie später (1972) noch "Hoopers letzte Jagd" gedreht, wo es um das weitere Schicksal von Bruce Reynolds
geht. Tappert fand den Film aber nicht so gelungen.
Witt
:Ja, da waren wir
unterschiedlicher Meinung. Es ist ja keine Fortsetzung im klassischen Sinn,
sondern ein eigener Stoff, und von einer ganz anderen Art als die
"Gentlemen". Er war aber genauso erfolgreich und ist oft gesendet
worden! Wir hätten gerne wieder Siegfried Lowitz als
"Mister Mac" gehabt, aber er hat aus Sicht des NDR einfach viel zu
hohe Honorarforderungen gestellt.
UJ
:Können Sie etwas
zu den Produktionskosten der Gentlemen sagen? Bekamen Sie damals eigentlich
eine Gage oder war die stressige Arbeit in ihrem NDR-Festgehalt enthalten?
Witt
:Zu den
Produktionskosten kann ich nichts mehr sagen, ich weiß es einfach nicht mehr.
Was mich betrifft, so gab es beim NDR die Regelung, dass man für die Dauer der
Arbeiten zusätzlich zu seinem normalen Grundgehalt die halbe Gage eines
Regisseurs bekam, wenn man seine Aufgabe übernahm.
UJ: Welchen
Stellenwert nehmen die "Gentlemen" heute rückblickend in ihrem
Schaffen ein? Welches sind ihre "Lieblingsfilme"?
Witt
:Nun, es war der
Grundstein meiner Karriere, der erste "Straßenfeger". Erfolgreiche
Arbeiten hatte ich auch schon vorher, aber dadurch wurde ich bekannt, und die
Goldene Kamera dafür trug natürlich auch sehr dazu bei. Von den vielen Sachen,
die ich dann noch gemacht habe, sind sicher die "Unverbesserlichen"
zu erwähnen (Anm. d. Red.: dadurch wurde Inge Meysel zur "Mutter der
Nation"), wo wir von 1965 bis 1971 jedes Jahr einen Film gemacht haben.
Besonders gerne habe ich Literaturverfilmungen gemacht, z.B. "Die
Dämonen" nach Dostojewski. Auf die "Gentlemen" werde ich seit
langem nicht mehr angesprochen, es ist einfach aus dem Blickfeld der heutigen
Zeit entschwunden.
UJ
:Sie sind jetzt
im Ruhestand?
Witt
:Ja, und zwar so
was von Ruhestand! Die Arbeit als Regisseur ist anstrengend, dafür bin ich
einfach zu klapprig geworden.
UJ
:Herr Witt, ich
danke ihnen sehr für das Gespräch und wünsche Ihnen vor allem noch lange und
gute Gesundheit!